Dies Domini
Der Tag des Herrn
Der christliche Sonntag: Ein Fest der Freude und Erneuerung des Liebesbundes
Die Christen feiern den Sonntag, den Tag der Auferstehung Jesu Christi, als Höhepunkt ihres Glaubenslebens. Bereits in der frühen Kirche wurde der Sonntag als "Tag des Herrn" und als Tag der Freude gefeiert. Bevor er als Ruhetag gesetzlich verankert wurde, sahen die ersten Christen den Sonntag in erster Linie als den Tag der Auferstehung und damit als ein Fest der Freude: „Am ersten Tag der Woche seid alle fröhlich.“ (vgl. Dies Domini). Doch warum halten Christen den Sonntag statt des Sabbats, des traditionellen Ruhetags des Alten Bundes?
Der Übergang vom Sabbat zum Sonntag
Der Sabbat hatte im jüdischen Glauben eine zentrale Bedeutung, da er mit der Schöpfung und der Befreiung aus Ägypten verbunden war (vgl. Gen 2,1-3; Ex 20,8-11). Doch mit der Auferstehung Jesu Christi am ersten Tag der Woche begann für die Christen eine neue Zeitrechnung. Die Auferstehung markierte die wahre Befreiung – nicht nur von äußerer Unterdrückung, sondern von der Versklavung durch die Sünde. Der heilige Paulus erklärt in Kolosser 2,16-17, dass der Sabbat als Schatten der kommenden Dinge zu betrachten ist: „Darum soll euch niemand verurteilen wegen Speise und Trank oder wegen eines Feiertages, Neumondes oder Sabbats; das alles ist nur ein Schatten des Kommenden, die Wirklichkeit aber ist Christus.“
Die Versammlungen der ersten Christen am Sonntag sind auch in der Bibel bezeugt. In Apostelgeschichte 20,7 wird berichtet: „Am ersten Tag der Woche aber, als wir versammelt waren, um das Brot zu brechen...“ (Brechen des Brotes, Feier der Eucharistie). Ebenso schreibt Paulus in 1. Korinther 16,2: „An jedem ersten Tag der Woche lege jeder von euch etwas zurück und sammle es an, damit nicht erst dann, wenn ich komme, die Sammlungen gemacht werden.“ Diese biblischen Zeugnisse verdeutlichen, dass die frühe Kirche den Sonntag als den wöchentlichen Festtag der Auferstehung Jesu feierte und damit den Sabbat des Alten Bundes ablöste.
Der Sabbat und der alte Bund: Die Argumentation von Thomas von Aquin
Thomas von Aquin schreibt in seiner Summa Theologica, dass der Sabbat ein spezifisches Zeichen des alten Bundes war, der durch die Opfergesetze und Vorschriften die Ankunft des Messias vorausdeutete. Mit dem Kommen Jesu Christi, der die alttestamentlichen Prophezeiungen erfüllte, wurde der Sabbat als zeremonielles Gesetz obsolet. Aquin erklärt, dass die Gebote des Alten Bundes – insbesondere die Sabbatruhe – Vorbilder für das waren, was in Christus erfüllt wurde. Das "Erfüllen" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Christus die tiefere Bedeutung dieser Vorschriften verwirklichte, indem er die Menschen von der Sünde befreite und sie in eine neue Beziehung zu Gott führte. Die alttestamentlichen Zeremonien waren nur Schatten, die auf die Wirklichkeit Christi hinwiesen.
Thomas von Aquin geht sogar so weit zu sagen, dass es für Christen sündhaft wäre, den Sabbat des Alten Bundes zu halten, da dies bedeuten würde, die Erlösung in Christus nicht anzuerkennen. Durch das Festhalten am Sabbat würden die Christen die Erfüllung der alttestamentlichen Vorschriften in Christus leugnen und damit den neuen Bund zurückweisen, den Jesus durch sein Pascha-Mysterium gestiftet hat. Der Sonntag hingegen ist das Zeichen des Neuen Bundes, der in der Auferstehung Jesu begründet ist.
Der Liebesbund zwischen Christus und seiner Kirche
Ein zentrales Thema des Sonntags ist der Liebesbund zwischen Christus und seiner Kirche, der in der Eucharistie jedes Mal erneuert wird. Johannes Paul II. beschreibt die sonntägliche Eucharistiefeier als den Höhepunkt dieses Liebesbundes: „Es ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, der durch die Reihen seiner Jünger geht, um sie mit sich in die Erneuerung seiner Auferstehung zu führen.“ Diese Erneuerung spiegelt sich in der Eucharistie wider, die in der Gemeinschaft der Gläubigen gefeiert wird. Wie in der körperlichen Vereinigung der Ehe der Ehebund erneuert wird, so erneuert die Eucharistie den Bund zwischen Christus und seiner Kirche. Die Gläubigen empfangen den Leib und das Blut Christi, der sie in seine göttliche Freude einlädt.
Der hl. Johannes Chrysostomos fordert die Christen dazu auf, den Leib Christi nicht nur in der Eucharistie, sondern auch in den Bedürftigen zu erkennen: „Verehre ihn nicht hier im Tempel mit Seidenstoffen, um dann draußen an ihm vorüberzugehen, wo er unter Kälte und Nacktheit leidet.“ Diese Aufforderung zeigt, dass die Liebe, die im Herzen des auferstandenen Christus pulsiert, nicht auf die Eucharistie beschränkt bleiben darf. Sie muss in der Nächstenliebe konkret werden, denn ohne Liebe gibt es keine wahre Freude. Jesus selbst verbindet seine Gebote mit der Freude: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15,11).
Die Freude des Sonntags
Der Sonntag war von Anfang an ein Tag der Freude. Die Christen freuten sich über die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, wie die Jünger, die jubelten, als sie den Herrn sahen (Joh 20,20). Diese Freude ist tief verwurzelt in der Liebe Christi und spiegelt sich in der Eucharistiefeier wider. Johannes Paul II. beschreibt die christliche Freude als „innere Teilhabe an der unergründlichen, zugleich göttlichen und menschlichen Freude im Herzen des verherrlichten Herrn Jesus Christus“. Die Freude des Sonntags ist also mehr als nur eine emotionale Reaktion – sie ist Ausdruck der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn.
Der Sonntag als Vorgriff auf die Ewigkeit und der „achte Tag“
Der Sonntag hat nicht nur eine vergangenheitsbezogene Bedeutung, sondern er weist auch auf die Zukunft hin, auf den Tag der Wiederkunft Christi. Johannes Paul II. betont, dass der Sonntag ein Vorgriff auf den "Endtag", den Tag der Parusie, ist. Durch die Teilnahme an der Eucharistie bereiten sich die Gläubigen auf das ewige Fest vor, das im Himmel gefeiert wird. Der Sonntag „nimmt den Endtag vorweg“ und erinnert die Christen daran, dass die Welt sich bereits in der Endzeit befindet. Die wöchentliche Feier der Auferstehung Christi ist damit nicht nur ein Rückblick auf die Erlösung, sondern auch ein Blick in die Zukunft, in die ewige Gemeinschaft mit Gott.
Im Katechismus der katholischen Kirche wird der Sonntag als der „achte Tag“ bezeichnet. Dieser achte Tag symbolisiert den Beginn einer neuen Schöpfung und die Erfüllung des göttlichen Planes. Der achte Tag ist nicht nur ein Fortgang der Zeit, sondern ein ewiges Heute, das in der Auferstehung Jesu Christi verwirklicht wird. Durch den Sonntag, den achten Tag, haben die Gläubigen Anteil an dieser neuen Schöpfung und werden eingeladen, auf die endgültige Vollendung des Heilsplans in der Ewigkeit zu warten.
Fazit
Der christliche Sonntag ist weit mehr als nur ein Ruhetag. Er ist der Tag der Freude, ein Fest der Auferstehung und ein Zeichen des neuen Bundes zwischen Christus und seiner Kirche. Durch die Teilnahme an der Eucharistie erneuern die Gläubigen diesen Liebesbund und empfangen die Freude und Liebe des auferstandenen Herrn, die sie befähigt, diese Liebe in der Welt zu leben und zu teilen. Der Sonntag bereitet die Gläubigen auf die ewige Gemeinschaft mit Gott vor und erinnert sie an ihre Berufung, in der Freude und Liebe Christi zu leben. Wie es im Apostolischen Schreiben Dies Domini heißt: „Am ersten Tag der Woche seid alle fröhlich.“
Quellen
Johannes Paul II., Dies Domini, 1998
https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/1998/documents/hf_jp-ii_apl_05071998_dies-domini.html
Thomas von Aquin, Summa Theologica, II-II, Q. 122, Art. 4
https://bkv.unifr.ch/de/works/sth/versions/summe-der-theologie/divisions/1609
Zitate aus Dies Domini
Im übrigen haben, geschichtlich betrachtet, die Christen den Wochentag des auferstandenen Herrn, noch ehe sie ihn als Ruhetag — der zudem damals im staatlichen Kalender gar nicht vorgesehen war — begingen, vor allem als Tag der Freude erlebt. »Am ersten Tag der Woche seid alle fröhlich«
»Man lasse das Fasten und bete, als Zeichen der Auferstehung, stehend; außerdem soll an allen Sonntagen das Halleluja gesungen werden«.
»Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen« (Joh 20,20).
Wie mein ehrwürdiger Vorgänger Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben über die christliche Freude ausführte, »ist die christliche Freude ihrem Wesen nach innere Teilhabe an der unergründlichen, zugleich göttlichen und menschlichen Freude im Herzen des verherrlichten Herrn Jesus Christus«.
Er rief daher die Bischöfe auf, »auf die treue und frohe Teilnahme der Gläubigen an der sonntäglichen Eucharistiefeier nachdrücklich hinzuweisen. Wie können sie diese Begegnung, dieses Festmahl vernachlässigen, das uns Jesus in seiner Liebe bereitet? Die Vorbereitung soll jedesmal entsprechend würdig und festlich sein! Es ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, der durch die Reihen seiner Jünger geht, um sie mit sich in die Erneuerung seiner Auferstehung zu führen. Es ist hier auf Erden der Höhepunkt des Liebesbundes zwischen Gott und seinem Volk: Zeichen und Quelle der christlichen Freude und Vorbereitung auf das ewige Fest«. (105) Aus dieser Sicht des Glaubens betrachtet, ist der christliche Sonntag ein echte »Festefeier«, ein von Gott dem Menschen geschenkter Tag, damit der Mensch menschlich und geistlich zur vollen Reife gelangt.
Am Tag des Herrn, den das Alte Testament mit dem Schöpfungswerk (vgl. Gen 2,1-3; Ex 20,8-11) und dem Auszug aus Ägypten (vgl. Dtn 5,12-15) verbindet, ist der Christ aufgerufen, die neue Schöpfung und den neuen Bund zu verkünden, die im Ostermysterium Christi vollzogen worden sind.
... die Christen als Verkünder der im Blut Christi erfüllten Befreiung zu Recht ermächtigt fühlten, den Sinn des Sabbats auf den Tag der Auferstehung zu übertragen. Das Pascha Christi hat in der Tat den Menschen von einer viel radikaleren Versklavung befreit als jener, die auf einem unterdrückten Volk lastet: Die Sklaverei der Sünde, die den Menschen von Gott entfernt, entfernt ihn auch von sich selbst und von den anderen und hinterläßt in der Geschichte immer neue Keime der Bosheit und Gewalt.
Die innere Teilnahme an der Freude des auferstandenen Christus muß auch das volle Teilen der Liebe einschließen, die im Herzen des Auferstandenen pulsiert: Freude ohne Liebe gibt es nicht! Jesus selbst erklärt das, wenn er das »neue Gebot« mit der Freude, die er schenkt, in Zusammenhang bringt: »Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe« (Joh 15,10-12).
Der hl. Johannes Chrysostomos äußert sich in diesem Zusammenhang nicht weniger fordernd: »Willst du den Leib Christi ehren? Geh nicht an ihm vorüber, wenn er nackt ist. Verehre ihn nicht hier im Tempel mit Seidenstoffen, um dann draußen an ihm vorüberzugehen, wo er unter Kälte und Nacktheit leidet. Er, der gesagt hat: "Das ist mein Leib", ist derselbe, der gesagt hat: "Ihr habt mich hungrig gesehen und habt mir nicht zu essen gegeben", und "Was ihr für einen der Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" [...]. Was nützt es, daß der eucharistische Tisch mit Goldkelchen überladen ist, wenn Er vor Hunger stirbt? Gib zuerst ihm, dem Hungernden, zu essen, dann kannst du mit dem, was übriggeblieben ist, auch den Altar schmücken«.
Da der Sonntag das wöchentliche Ostern ist, wo der Tag in Erinnerung gerufen und vergegenwärtigt wird, an dem Christus von den Toten auferstanden ist, ist er auch der Tag, der die Bedeutung der Zeit offenbart. ... Aus der Auferstehung hervorgehend, zerteilt er die Zeiten des Menschen, die Monate, die Jahre, die Jahrhunderte, wie ein Richtungspfeil, der sie durchdringt und auf das Ziel der Wiederkunft Christi ausrichtet. Der Sonntag nimmt den Endtag vorweg, den Tag der Parusie, wie er im Geschehen der Auferstehung von der Herrlichkeit Christi angekündigt wird. Der Christ weiß nämlich, daß er auf keine andere Heilszeit zu warten braucht, sondern daß die Welt, wie lange ihre zeitliche Dauer auch währen mag, bereits in der Endzeit lebt.
Es ist tatsächlich von grundlegender Bedeutung, daß sich jeder Glaubende davon überzeugt, weder seinen Glauben leben noch am Leben der Gemeinschaft teilnehmen zu können, wenn er sich nicht vor allem durch die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier vom Wort Gottes und vom eucharistischen Brot nährt. Wenn sich in der Eucharistie jene Fülle kultischer Verehrung verwirklicht, die die Menschen Gott schulden und die sich mit keiner anderen religiösen Erfahrung vergleichen lassen. Dies kommt besonders wirkungsvoll in der sonntäglichen Zusammenkunft der ganzen Gemeinde zum Ausdruck, die der Stimme des Auferstandenen folgt, der sie zusammenruft, um ihr das Licht seines Wortes und die Nahrung seines Leibes als ewige sakramentale Quelle der Erlösung zu schenken. Die Gnade, die aus dieser Quelle entspringt, erneuert die Menschen, das Leben und die Geschichte.